Tag 47-53 / 31.05.-06.06.2013
Wenn wir jemandem, den wir unterwegs kennen gelernt haben,
erzählten, dass eines unserer Ziele auf der Reise Bangladesch sein wird, war
die häufigste Reaktion darauf „Wow… but
why?“. Wenn wir dann erzählten, dass wir dort unsere Freundin besuchen, die im
Januar nach Dhaka gezogen ist, folgte „Really? Why did she do that?“… Wir haben
knappe 10 Tage Zeit uns anzusehen, wie Nicole in diesem Land lebt und vor allem,
warum sie gern dort lebt.
Unser Flieger sollte planmäßig um 20:20 Uhr Ortszeit in
Dhaka landen. Kurz vor der Landung meldet sich der Pilot: wir können nicht in Dhaka landen, da die Landebahn von einem beschädigten Flugzeug
versperrt sei. Deswegen müssten wir in einem nahe gelegenen Flughafen in Indien
zwischenlanden. Gegen 21 Uhr Ortszeit landen wir also in Kalkutta. Laut dem Piloten
werde die Beseitigung des beschädigten Flugzeugs in Dhaka ca. eine Stunde dauern. Klingt
undramatisch. Wir rufen Nicole kurz an und entschuldigen uns, dass sie noch
eine Stunde auf uns warten muss. Ihre Antwort: „Welcome to Bangladesh!“. Sie
überrascht wohl nichts mehr.
Nach ca. einer Stunde meldet sich der Pilot erneut. Die Lage
in Dhaka sei zwar wieder in Ordnung, allerdings müsse unser Flugzeug noch
getankt werden. Er versichert aber, dass das in 10-15 Minuten passieren würde.
Nach einer Stunde gesteht er uns, dass unser Flugzeug die letzte Priorität auf
der Tankliste hätte, da wir außerplanmäßig in Kalkutta gelandet seien. Daher
wurden aus den 10-15 Minuten knappe drei Stunden… Und so ging es weiter. Immer wieder wird uns versichert,
es geht in 10-15 Minuten weiter. Nachdem unser Flugzeug betankt wurde, warten
wir „10-15 Minuten“ auf eine Bestätigung aus Dhaka, dann „10-15 Minuten“ auf
eine Bestätigung aus Singapur bis schließlich der Flughafen in Dhaka
geschlossen wurde. Ruhezeit von Mitternacht bis 4 Uhr, was man uns aber erst um
2 Uhr sagt. Aus „es geht jeden Moment weiter“ wurde letztendlich eine 7
stündige Geduldsprobe. Grrrrrrr!
In unserem Flugzeug sind schätzungsweise 200 Passagiere,
davon sind 5 Westler, uns eingeschlossen. Die restlichen Insassen sind
Bangladescher. Ein temperamentvolles Volk. Immer wieder steht einer auf und
fordert den Piloten auf, uns besser zu informieren, was das Problem sei. Warum
wir nicht weiter fliegen können. Sobald einer steht, trauen sich viele weitere
dazu. Es wird geschrien und gepöbelt – auf Bangla, Englisch können die
Wenigsten. Darum, wussten einige auch erst von unserem außerplanmäßigen Stopp,
als wir in Kalkutta gelandet sind. Durchsagen auf Bangla gab es nämlich nicht. Aber
sobald sie ihrem Ärger Luft gemacht haben, setzen sie sich wieder hin. Bis es wieder
von vorn anfängt.
Um ca. 4 Uhr erklärt uns der Pilot, dass wir nicht innerhalb
der nächsten Stunden nach Dhaka fliegen können, weswegen sich die Airline (Tiger
Airways) darum bemühen werde, für uns ein Hotel zu finden, in dem wir uns
ausruhen können, bis es endlich in Richtung Dhaka geht. Bis wir das Flugzeug
verlassen dürfen vergehen erneut 10-15 „Tigerminuten“, also eine gute Stunde. Vorher war uns das Verlassen des Flugzeuges
von dem Piloten und der Flugcrew verweigert worden. Das Einhalten dieses
Verbots wurde von indischen Soldaten, die vor dem Flugzeug standen,
kontrolliert.
Am Flughafen werden uns Transit-Visa ausgestellt, das heißt
wir dürfen den Gatebereich des Flughafens nicht verlassen. VOn wegen Hotel… Wir warteten am Flughafen; insgesamt 14 Stunden bis gegen 20 Uhr das
Boarding für unseren Flug nach Dhaka beginnt. Mit fast 26 Stunden Verspätung
landen wir schließlich am Samstag, 01.06.2013 gegen 22 Uhr in Dhaka. Was für
eine Reise! Leider ein verlorener Samstag, den wir hätten mit Nicole verbringen
können.
Vor dem Flughafen stehen Menschenmassen hinter einem Zaun.
Wenn man in Dhaka in den Flughafen will und kein Flugticket hat, zahlt man 200
Taka (2 Euro) Eintritt. So werden „Schaulustige“ fern gehalten. Nicole hat einen
Fahrer organisiert, der uns drei zu ihr nach Hause bringt. In Dhaka gelten
andere Regeln, nachts lieber nicht mit dem Taxi nach Hause fahren. Die Fahrt
ist schon besonders. Alles ist so anders, als das, was wir bisher gesehen
haben. Es ist chaotisch, aber es funktioniert dennoch. Bei Nicole angekommen, beschwert
sich der Fahrer über das Geld, was Nicole ihm zahlt. Da der Preis vorher
vereinbart wurde, ärgert sie sich und fängt an, mit ihm zu diskutieren – auf
Bangla! Wir sind schwer beeindruckt. In
der Wohnung sind wir einfach nur froh, dass wir duschen können und endlich ein
Bett haben.
Am nächsten Tag geht es in die Altstadt Dhakas. Der Weg
dorthin zeigt uns, wie chaotisch es wirklich ist. Die Fahrt vom Flughafen zu
Nicole war ein Witz dagegen. Heute ist richtig was los auf den Straßen. Fahrräder,
Rikshaws, CNGs, Busse, Autos, zwischendurch mal eine Pferde-Kutsche oder ein
Anhänger, der von einem Menschen gezogen wird – alles fährt, wie es will und
vor allem, wie es gerade passt. Ampeln gibt es kaum und die, die es gibt,
werden einfach nicht beachtet. Dennoch funktioniert es, irgendwie
beeindruckend. Aber ein großer Nachteil dieses Verkehrschaos ist der Stau. Wenn
jeder sich in die kleinste Lücke quetscht und niemanden vorbei lassen möchte,
blockieren sich die Fahrzeuge gegenseitig. In unserem CNG stauen sich die
Abgase der vielen Fahrzeuge. Angenehm ist anders. Und vor allem ist es
unglaublich heiß.
Wie kann man „Old Dhaka“ beschreiben? Es ist schwierig, weil
wir nichts Vergleichbares kennen. Es ist auf jeden Fall krass. In vielerlei
Hinsicht. Es gibt viele kleine Straßen, von denen ab und an mehrere kleinere
Gassen abgehen. Links und rechts aneinander gereiht liegen Kioske, Restaurants
und sämtliche Läden. Von dem Schneider, über den Früchte- und Gemüsehändler bis
hin zu Werkstätten ist alles, was man sich vorstellen kann, dabei. Die Straßen
sind auch hier voll. Rikshaws, CNGs, Motorräder, Kutschen bahnen sich ihren
Weg. Dazwischen immer mal wieder Ziegen und Kälber und Menschen, die
erstaunliches Gewicht auf ihrem Kopf balancieren oder Tiere in Käfigen tragen. Als
wir dort durch die Straßen laufen, fallen wir auf. Alle schauen uns an. Aber
nicht so, dass es unangenehm ist. Die Menschen sind interessiert. Uns begegnen viele,
die uns auf Englisch fragen, wie es uns geht, wo wir her kommen und wie wir
heißen. Vor allem die kleinen Kinder freuen sich uns zu sehen, lachen uns an.
Das Schöne ist, sie tun es ohne Hintergedanken. Niemand bettelt oder fragt uns
nach Geld – obwohl wir ihnen die Armut ansehen können. Machen wir ein Foto von
ihnen und zeigen es ihnen, sind sie zufrieden und lächeln uns glücklich an.
Unser kleines Highlight an dem Tag war eine Bootsfahrt über den Fluss Dhaleswari.
Charmant handelt Nicole den Bootsfahrer auf einen guten Preis herunter, damit
er uns 1 Stunde über den Fluss paddelt. Bangla lernen, lohnt sich. Dhaka ist laut und
dreckig und chaotisch, aber die vielen freundlichen Menschen, die uns hier
begegnen machen diesen Ort besonders und irgendwie charmant. Uns gefällt es
hier.
Am nächsten Tag ist schon Montag, der 3. Juni. Unser erster
Hochzeitstag. Da Nicole tagsüber bei der Arbeit ist, erkunden wir die Umgebung
auf eigene Faust. Schnell merken wir, dass die Menschen in diesen Vierteln ein
wenig anders ticken. Nicole wohnt in einem der besseren Stadtteile Dhakas. Die
Menschen hier sind darauf eingestellt, dass wohlhabendere Menschen hier leben.
Und als Westler ist man hier wohlhabend. Es gibt mehr Menschen, die betteln.
Vor allem kleine Kinder, die einem hinterher laufen und andeuten, sie brauchen
Geld fürs Essen. Dabei versuchen sie direkt einen guten „Spendenbetrag“ auszuhandeln.
„Boss, please…“ Einige sind auch etwas forscher, laufen nicht nur hinterher,
sondern stellen sich uns in den Weg oder zerren an unserer Kleidung. Das geht vor
allem Sonia etwas nahe… Menschen ohne Fuß, Beine oder mit anderen Behinderungen,
extreme Armut – das gab es auch in der Altstadt Dhakas zu sehen, aber hier gibt
es weniger Lachen. Die Menschen sind bewusst in diesen feineren Stadtteilen,
weil sie wissen, dass hier mehr Geld zu holen ist. Als Ausländer sollte man
sich im Zweifel so verhalten, wie die Einheimischen. Das tun wir schon seit
Beginn der Reise. Daher wird Menschen, die betteln, kein Geld gegeben. Unser
Prinzip ist einfach, fragt man uns nach Essen, Trinken oder Schlafen, sind wir
gerne bereit zu helfen. Fragt man uns nach Geld, gibt es leider nichts. Auch wenn es
schwer fällt.
Abends gibt es für Sonia eine Überraschung, die Nicole und
Andy gemeinsam organisiert haben. Wäre hätte das vor zehn Jahren gedacht, dass wir
bei Nicole in Bangladesch sind und sie Andy hilft, Sonia zu überraschen? Eindeutig
niemand! Die Überraschung ist aber eindeutig gelungen. Ein richtig gutes
italienisches Essen (nach 2 Monaten Asien der pure Genuss) bei Kerzenlicht auf
einer Dachterrasse. Kitschig ja, aber auch verdammt cool!
Der Tag nach dem Hochzeitstag verlief relativ unspektakulär.
Um uns vor der Hitze zu schützen, verbringen wir den Tag zu Hause unter dem
Ventilator. Im Nachhinein eine gute Entscheidung. Später erzählt uns Nicole, es
war einer der heißesten Tage überhaupt. Am Abend gab es dann das Highlight des
Tages: Games Night! Einige Expats – Ausländer, die in Bangladesch arbeiten –veranstalten
jeden Dienstag gemeinsam einen
Spieleabend. Weil das obligatorisch zu Nicoles Woche dazu gehört, nimmt sie uns
mit. Und das hat richtig Spaß gemacht. So sehr, dass wir zwei auch so einen
Abend einführen wollen, sobald wir
zurück sind. Aber erst mal müssen wir uns auch so eine große Spielesammlung
anlegen. Mit unserem Mensch-ärgere-dich-nicht und Scrabble kommen wir da nicht
weit. Leider hat der Abend ein kränkelndes Ende. Andy bekommt Fieber und fühlt
sich extrem schlecht. Dehydriert, was Falsches gegessen, Vitaminmangel, krank
vom ganzen Staub und den Abgasen, Malaria, Dengue? Keine Ahnung. Auf jeden Fall
nicht schön.
Der Mittwoch verlief daher im Zeichen, des Genesens. Einfach
nur gesund werden, schließlich haben wir am Wochenende etwas vor. Gemeinsam mit
Nicole und Nasir, einem Arbeitskollegen Nicoles, wollen wir nach Kuakata. In
den Süden Bangladeschs. Der Bus geht schon um 18 Uhr am Donnerstagabend los.
Eigentlich wollten wir uns zu der Zeit mit Minhaz, unserem Sitznachbarn im
Flugzeug und neuen Freund treffen. Auch wenn es Andy noch nicht besser geht, verlegen
wir das Treffen spontan auf Donnerstagvormittag – Minhaz geht deswegen später
zur Arbeit. Andy hilft nur nix Essen und viel Wasser trinken.
Nachmittags geht es dann mit dem Taxi zum Busbahnhof. Dabei ist
es gar nicht mal so leicht eines zu bekommen. Wir stehen da mit unseren großen
Rucksäcken und warten in der brütenden Hitze (um die 40° C) auf ein Taxi, das bereit ist, uns
mitzunehmen. Irgendwann bekommen wir dann endlich eins.
Unter anderem, weil fremde Passanten Mitleid mit uns haben und auf den
Taxifahrer einreden, er solle uns mitnehmen. Die Menschen in Bangladesch sind nett. Die Taxis haben in der Regel
keinen Kofferraum, daher sitzen wir zu dritt hinten und jeder mit seinem Rucksack auf dem Schoß. Solange das Taxi fährt ist die Hitze erträglich,
Fahrtwind weht durch die offenen Fenster; sobald es steht, ist es kaum
auszuhalten. Und Stehen im Straßenverkehr Bangladeschs ist nicht ungewöhnlich.
Am Ende erreicht man aber immer sein Ziel. Wir stehen also auf dem Busbahnhof
und realisieren, dass wir alleine niemals den richtigen Bus gefunden hätten. Es
ist einfach nur ein riesiger Platz, auf dem wirklich viele Busse und Menschen
stehen. Nasir fragt sich durch und wir erreichen unseren Bus. Ein riesiger
Sprung in der Frontscheibe –Carglas repariert, Carglas tauscht aus… NICHT – und
ein wenig Zweifel am technischen Zustand des Busses. Aber es wird schon gut
gehen. Kaum sitzen wir auf unseren Plätzen hören wir, wie der Passagier, der
hinter Nicole sitzt, in den Bus auf den Boden rotzt. Jetzt denken auch wir:
welcome to Bangladesch! Vor uns liegen 320 km bzw. 12 Stunden Fahrt mit mehreren Fährüberführungen… Und
das ohne Klimaanlage.
SP & AP